Moderne Glaskunst von David Tremlett in Villenauxe-la-Grande

Kunst kann man auch auf der Couch genießen, mit einem aufgeschlagenen Bildband auf den Knien. Oder am Computerbildschirm, beim Anschauen großartiger Gemälde aus aller Welt in höchster Auflösung. Aber eines geht nicht daheim: Eintauchen in das farbige Licht, das durch kunstvolle Glasfenster in einen weiten Kirchenraum fällt. Für dieses Erlebnis muss man auf Reisen gehen. Zum Beispiel nach Villenauxe-la-Grande. Sie wissen nicht, wo das liegt? Macht nichts. Der kleine Ort in der Nähe von Troyes in der Champagne ist erst seit kurzem ein lebhaft leuchtender und furios farbiger Fleck auf der künstlerischen Landkarte Frankreichs.

Das Projekt

In der Kirche Saint Pierre et Paul von Villenauxe-la-Grande wurde 2005 im Beisein des französischen Kultusministers ein aufsehenerregender Glasmalereizyklus eingeweiht. Alle Fenster des mittelalterlichen, seit 1840 unter Denkmalschutz stehenden Bauwerks waren nach einheitlichem Entwurf des britischen Künstlers David Tremlett neu verglast worden. Die Ausführung übernahm das renommierte Atelier Simon Marq in Reims. Wie war ein solches Projekt in der französischen Provinz möglich? Den Anfang machte die hochherzige Stiftung eines 1992 verstorbenen Bürgers, der der Gemeinde zur Erneuerung der Kirchenfenster von Villenauxe-la-Grande testamentarisch eine ansehnliche Summe hinterließ. Diese wurde später durch Beiträge des Staates und der Gebietskörperschaften sowie Spenden von Gaz de France auf 1,15 Millionen € aufgestockt. Das Bildprogramm entstand in Zusammenarbeit mit der Commission diocésaine d‘ art sacré der Diözese Troyes und dem Comité national d’art sacré, einem Gremium des französischen Episkopats. Es handelte sich aber um einen Auftrag der öffentlichen Hand, da die Kirche in Frankreich nicht Eigentümerin der von ihr genutzten Sakralbauten ist. Die Direction Régionale des Affaires Culturelles schrieb 2002 einen internationalen Wettbewerb aus, an dem 36 Künstler teilnahmen. Im Februar 2003 fiel die Entscheidung für den Entwurf von David Tremlett.

Der „Wandzeichner“ David Tremlett

Tremlett, 1945 in Cornwall geboren, ist vor allem für seine abstrakt-flächigen Wandzeichnungen bekannt. Mittels Pastelkreiden „baut“ er neue Räume innerhalb bestehender Architekturen. Oft gestaltet er auf diese Weise Galerieräume für die Dauer einer Ausstellung, aber auch gelegentlich Kapellen „für die Ewigkeit“. Als ephemere Kunstwerke im Rahmen von Ausstellungen sind Tremletts „Bauten” vergänglich. „Wenn sie verschwinden, verschwinden sie. Wenn sie standhalten, halten sie stand. Und das ist so in Ordnung“. Trotzdem kam dem Künstler schon früh der Gedanke, dass seinem Werk in einem Sakralbau wahrscheinlich mehr Dauer beschieden sei. Vielleicht war auch dieser Wunsch nach etwas Bleibendem ein Anstoß, sich an dem Wettbewerb um die Verglasung von Villenauxe-la-Grande zu beteiligen.

Das Medium

Dabei unterscheidet sich das Medium der Glasmalerei in vielem sehr deutlich von den bisherigen künstlerischen Mitteln des „Wandzeichners“ Tremlett. „Ich liebe es, aktiv an meinen Werken teilzuhaben, mir die Hände schmutzig zu machen.“ Tremlett posierte gelegentlich auch mit von Kreide eingefärbten Handflächen für die Fotografen. Er hatte diese Art der Malerei in jungen Jahren auf ausgedehnten Reisen in Afrika kennengelernt. Mit den Händen (und denen seiner Mitarbeiter) reibt Tremlett normalerweise die Farbe in den Putz. Die Umsetzung seiner Entwürfe für die Kirchenfenster musste er hingegen Anderen überlassen. Bei seinen Arbeiten auf Putz ist die Wand das Gegenüber und die Grenze: „Tatsächlich baue ich etwas in meinen Wand-Zeichnungen, aber innerhalb der Oberfläche.“ Diese Oberflächen sind kreidig stumpf und dicht. Glas erscheint im Gegensatz dazu leuchtend und durchlässig. Die Glasfläche schließt den Raum, aber öffnet ihn gleichzeitig.

Das Bildprogramm

Ein fundamentaler Unterschied zu seinen Wandgestaltungen besteht vor allem aber darin, dass Tremlett in Villenauxe-la-Grande ein komplexes Bildprogramm realisierte. Natürlich verzichtete der Künstler auf Figürliches. Aber nur in der Darstellung, nicht in der Deutung. Gegenständliches leuchtet auf und tritt dann doch hinter abstrakten Formen zurück. Die mehr als 20 Fenster mit insgesamt etwa 200 Quadratmetern Glasfläche sind zu größeren Themenkomplexen, entsprechend ihrer Position im Kirchenraum, zusammengefasst. In fast kosmologisch-mittelalterlichem Zugriff sind die Fenster im Langhaus der Natur in Gestalt der vier Elemente und der Arbeitswelt des Menschen gewidmet. Die Fenster des Chorumgangs bleiben der Vergegenwärtigung des Heiligen vorbehalten. Dementsprechend thematisiert die Verglasung des Langhauses auf der Nordseite die Elemente Erde und Feuer sowie die lokale Keramikproduktion. Dem stehen auf der Südseite die Elemente Wasser und Luft sowie der örtliche Weinbau gegenüber.

Raumbezüge

Dabei ergeben sich vielfältige innere Bezüge zwischen den einzelnen Fenstern und zu ihrer Position im Kirchenraum. So schmücken die Entwürfe zum Thema Wasser beispielsweise den Bereich des Taufbeckens in der Südwestecke. Dort ist aber auch ein durch eine große geometrische Form charakterisiertes Fenster, als Kreuz oder Kirchengrundriss lesbar, eingefügt. Die Taufe als Aufnahme in die Kirche vollzieht sich unter dem Zeichen des Kreuzes. Die strenge und geschlossene Form dieses „Kirchenfensters“ steht ganz im Gegensatz zu den beiden Fenstern, die das Element Luft symbolisieren. Hier ziehen sich konzentrische Kreise, die nur fragmentarisch in den gläsernen Flächen sichtbar werden, über beide Fenster. Die Kreise setzen sich unsichtbar als gedachte Linien auf den Quadern der Mauern und über das Maßwerk hinweg fort, auf das die Gestaltung keine Rücksicht zu nehmen scheint. Aber ein zweiter Blick zeigt, dass die gerundeten Formen dieses Bild gewordenen Atemhauchs besonders gut zu dem elegant geschwungenen Flamboyantmaßwerk passt, das diese beiden Fenster vor den anderen auszeichnet. Weitere runde Elemente zeigen die östlich anschließenden Fenster der Südseite. Diesmal sind sie jedoch brav als kindlich wirkende Farbtupfen auf fast farblosem Glas in den vorgegebenen Rahmen eingefügt. Sie sollen den Weinbau symbolisieren und lassen an Trauben oder auch an perlenden Champagner im Glas denken.

Darstellung des Heiligen?

Die fünf Fenster des Chorumgangs wirken dagegen vergleichsweise chaotisch. Hier läuft die Suche nach Gegenständlichem ins Leere. Die Verglasung der Nordseite ist Maria, die der Südseite Christus gewidmet. Tremlett verzichtet, wie nicht anders zu erwarten, auch hier auf Figürliches. Er lässt nur die traditionelle Symbolik der Farbe sprechen: „Die Dominanz bläulicher Töne ist eine Referenz an die Jungfrau Maria, die Präsenz der roten Töne an das vergossene Blut Christi“. Die abstrakten Formen sind vielgestaltig und dynamisch. Im Achsfenster ist das Ostergeheimnis symbolisiert durch das Zusammenfließen der Komplementärkontraste Rot und Blau. Die Gegensätze fallen in eins. Diese festliche Farbenpracht ist bewegend. Es ist kein Bild, das man von einem bestimmten Standpunkt aus betrachten müsste. Man darf sich in diesem farbigen Licht bewegen. Man sollte es sogar. Und das geht nicht von der Couch aus oder vor dem Computerbildschirm.

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Text und Fots: Dr. Elisabeth Peters